Takis Würger, Unschuld

Takis Würger, Unschuld

„Casper Rosendales Mörder mochte die Musik von Elvis, Lemon Pie mit Sahne, die Cheerleader der New York Jets und den Birnbaum hinter seinem Wohnwagen.“

Es gibt noch zahlreiche weitere Gerüchte, doch eins war auf jeden Fall wahr: Casper Rosendales Mörder hat eine Tochter. Sie heißt Molly, ist dreiundzwanzig Jahre alt, wohnt seit der Inhaftierung ihres Vaters bei dessen Bruder Mick, und will unbedingt die Unschuld ihres Vaters beweisen, dessen Tag der Hinrichtung durch eine Giftspritze – nach etwa zehn Jahren Haft – nun terminiert ist.

Mit der Unterstützung von Juliette van Hings, der stellvertretenden Chefredakteurin des linksliberalen Magazins York Gazette, soll sie undercover als Hausmädchen bei den Rosendales anheuern, da dort gerade eine entsprechende Stelle freigeworden ist. Später soll sie dann einen Artikel über diese Familie schreiben.

Ihre Tarnung fliegt schon nach kürzester Zeit auf, und dennoch gewährt ihr Jonathan Rosendale, der stets waffentragende Vater des ermordeten Casper Rosendale und Mitglied des NAA, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, einige Tage auf seinem Anwesen, nimmt sie sogar mit zur Fundstelle des Leichnams, einer nachtschwarzen Höhle und zeigt Molly Cavens Grab auf seinem Anwesen.

Schon der Fundort der Leiche ist für Molly ein untrügliches Indiz, dass es nicht ihr Vater gewesen sein kann, der wegen seiner Klaustrophobie nie in diese Höhle gegangen wäre. Und sie sucht unbeirrt weiter nach entlastenden Indizien, um das Leben des Vaters zu retten, der sich allerdings selbst immer wieder gegen eine Begnadigung ausgesprochen hat.

Im zweiten Teil wechseln die auktorial erzählten Abschnitte über Mollys Suche mit Kapiteln ab, in denen Caspar in der Ich-Form über die Zeit vor seinem Tod erzählt, wie er sich in Lou, eine neue Mitschülerin verliebt, aber aus Schüchternheit nicht weiß, wie er es anstellen soll, sie anzusprechen und mit ihr ein Date zustandezubringen. Mollys Vater Florentin Carver versteht und unterstützt ihn.

Einem sehr aufmerksamen Leser ist eigentlich schon auf den ersten Seiten klar, dass Mollys Vater nicht der Mörder ist: Er ist unheilbar an der vererbbaren Huntington Krankheit erkrankt, Mollys Mutter hat sie verlassen, als Molly fünf Jahre alt ist. Und Molly bekommt seit der Inhaftierung Geld von der Stiftung „Families Outside“, die sich um Kinder inhaftierter Schwerverbrecher kümmert. Warum wohl?

Wenn man dann eins zu eins zusammenzählen kann, dann weiß man: Schwerreiche, angesehene Familie, die mit Geld nahezu alles erreichen kann, lebt in einem Dorf, das nach ihr benannt ist, in dem die meisten Menschen von den Rosendales in irgendeiner Art abhängig sind, erkauft sich das Schweigen über den wirklichen Mörder mit diesem Stifungsgeld.

Ist eigentlich nur noch die Frage, welches Familienmitglied es gewesen ist. Die psychisch sehr labile Tiffany Rosendale, die ihre Kinder regelmäßig mit Ketaminnasenspray ruhig stellt, der angesehene Jonathan Rosendale, dem seinen Kindern gegenüber schon mal die Hand so richtig ordentlich „ausrutscht“ oder der damals achtjährige Bruder Joel, der stets die Nähe seines größeren Bruders sucht, weil er sich in der Familie sonst einfach völlig verloren fühlt.

Der Roman ist dennoch so gut geschrieben, dass er eine gewisse Spannung hervorruft. Ähnlich wie bei einem Krimi, bei dem man einfach nur wissen will, ob der eigene Verdacht dann auch richtig ist.

Dieser Roman hat diverse Facetten: Er hat Züge eines Krimis, ohne wirklich Krimi zu sein, blickt hinter die Fassade einer reichen amerikanischen Familie, dessen Oberhaupt glaubt, mit Gewalt und Geld alles regeln zu können, und zeigt die menschlichen Abgründe, die sich dahinter verbergen, ohne aber plausible Erklärungen zu finden. Die Personen bleiben vage und entsprechen eher vorherrschenden Klischees.

Ist vielleicht auch nicht notwendig, da es ja darum geht, den wahren Mörder zu finden. Die erste Liebeserfahrung des ermordeten Caspar kommt wie eine nette Zugabe daher oder hat die Funktion, die Liebenswürdigkeit und Zugewandtheit des Florentin Carvers darzustellen, der im Grunde die einzig verlässliche Bezugsperson für diesen gewesen ist. Dabei war er nur Angestellter der Rosendales, dem man mit Respekt und Distanz begegnet.

Der Roman ist unterhaltsam, schnell und unkompliziert zu lesen, ein insgesamt guter Unterhaltungsroman. Der gelernte Journalist Takis Würger versteht also sein Handwerk. Mir persönlich allerdings hat der Roman zu wenig Tiefgang – trotz der Themen.

Der Hinweis im Nachwort über die Anzahl der von der Huntington-Krankheit betroffenen in Deutschland – der Roman spielt in den USA – ergibt für mich keinen Sinn. Die Zahlen der zur Waffe greifenden Kinder in den USA und die Anzahl der Amerikaner, die missbräuchlich verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen, trägt ebenfalls wenig zum Verständnis des Romans bei. Und wer davon betroffen ist, sucht sicher nicht in Romanen nach Selbsthilfeorganisationen.

Takis Würger, Unschuld, Roman, Penguin Verlag, München 2022, 296 S., ISBN 978-3-328-60168-5

8 Gedanken zu „Takis Würger, Unschuld

  1. Meine Liste der Bücher, die in Betracht kommen, wird dank Deiner Rezensionen immer länger …
    Danke sehr für einen wie immer aufschlussreichen ersten Eindruck!
    Liebe Grüße!

    1. Eine Bücherliste ist für Freunde und Verwandte doch manchmal auch eine Entlastung hinsichtlich der Frage: „ Was wünscht du dir?“ oder: „Womit können wir dir eine Freude machen.“
      Liebe Grüße

      1. Grundsätzlich ist mit jenen Menschen, wo es möglich ist, vereinbart, dass wir uns nichts Materielles mehr gegenseitig schenken. Kinder und eine Freundin bilden die Ausnahme.
        Ich muss selbst immer in Bücher reinlesen, bevor ich sie kaufe. Deshalb ist die Bücherliste nur für mich :-)
        Ein erholsames Wochenende!

  2. Deine Roman-Beschreibungen, unabhängig davon, ob ich das Buch lesen möchte oder nicht, finde ich immer spannend und unterhaltend.
    Danke dafür und einen lieben Gruss,
    Brigitte

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