Victor Margueritte, La Garçonne

Victor Margueritte, La Garçonne


Dieser Roman löste bei seinem Erscheinen 1922 in Frankreich einen Skandal aus. Konservative Sittenwächter forderten ein Verbot des Buches und der Autor wurde aus der Ehrenlegion entlassen. Der Hype, den das Buch gemacht hat, hat „La Garçonee“ dann allerdings auch zum Bestseller werden lassen. Jetzt ist er in einer neubearbeiteten Fassung bei eberbach & simon erschienen.

Zu Beginn des Romans, der zeitlich in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts spielt, ist Moniques, die man als „Original“ und als „Wichtigtuerin“ bezeichnet, weil sie kein Interesse hat zu tanzen und zu flirten wie all die anderen Frauen ihres Alters, 20 Jahre alt und lässt – auf einem Diwan liegend – ihr bisheriges Leben wie in einem „Film auf einer geheimnisvollen Leinwand“ vorüberziehen.„Sie denkt an all die Facetten ihrer selbst, die längst vergangen sind. Jetzt ist sie 20 Jahre alt, und sie liebt.“

Sie wird in vierzehn Tagen Lucien Vigneret, einen Großindustriellen, heiraten, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie hat sich bereits „ohne großes Aufhebens nehmen lassen, hat sich vor zwei Tagen ganz dem hingegeben, der ihr alles bedeutet.“ Doch dann erfährt sie, dass ihr Verlobter eine Geliebte hat, was er ihr gegenüber immer wieder bestritten hat. Nicht dass er eine Geliebte hat, ist für sie der Skandal, sondern dass er sie mehrfach angelogen hat, denn sie hält Ehrlichkeit für den wichtigsten Wert in ihrem Leben und in der Ehe.

Zudem erfährt sie auch noch, welchen Coup ihr Vater mit der Heirat verbindet und ist empört. Sie weigert sich zu heiraten und wirft sich aus Rache dem erst besten Mann an den Hals, schläft mit ihm und verschweigt dies nicht einmal vor ihren entsetzten Eltern, die um ihren und den guten Ruf der Tochter bangen.

Monique weigert sich zu heiraten, bricht völlig mit ihnen und beginnt in Paris das emanzipierte Leben einer Garçonne. Sie schafft es, sich mit einem Antiquitäten- und Inneneinrichtungsgeschäft auch finanziell unabhängig zu machen, gerät aber in den Sog von Opiaten, die ihr nach und nach die Lebensenergie rauben.

„Sie hatte nichts mehr von dem strahlenden jungen Mädchen … eine Frau war aus ihr geworden und offenbar eine sehr unglückliche, die sich, verwundet, in sich selbst zurückzog. Der Schmetterling hatte sich wieder verpuppt.“

Denn sie sehnt sich nach wie vor nach wirklicher Liebe, nach einer Verbindung, in der gegenseitiger Respekt, Wertschätzung und Anerkennung wesentliche Werte für beide Partner sind.

Heute ist das Skandalöse vielleicht nicht mehr von allen nachvollziehbar. Das Vorbildhafte sind die mutigen Bemühungen Moniques, als den Männern ebenbürtig zu leben und sich die Rechte zu nehmen, die Männer Frauen versagen, und nicht zu warten, bis sie ihr gegeben werden. Die gesellschaftlichen und moralischen Abwertungen hat sie als Konsequenzen dann auch in Kauf genommen.

Victor Margueritte, La Garçonne, a.d. Franz. v. Joseph Chapiro, neu bearbeitet von Sophia Sonntag, ebersbach & simon, Berlin 2020, 285 S., ISBN 978-3-86915-210-3

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