Bettina Alberti, Seelische Trümmer

Bettina Alberti, Seelische Trümmer

Widmet sich Sabine Bode in ihrem Buch „Die vergessene Genration“ ausschließlich dieser Generation, so unternimmt Bettina Alberti den Versuch, sowohl die Kriegsgeneration und ihren Umgang mit den Kriegstraumatisierungen als auch die Auswirkungen dieses Umgangs für die nachfolgende Genration der 50er und 60er Jahre darzustellen. Und das gelingt ihr außerordentlich gut.

Man erhält anhand von Fallbeispielen die Möglichkeit zu verstehen, warum die meisten der Kriegsgeneration Abwehrverhalten in vielen verschiedenen Ausprägungen als einzige Möglichkeit sahen, mit ihren Traumata umzugehen, um den notwendigen Anforderungen des gesellschaftlichen Wiederaufbaus gewachsen zu sein und auch persönlich einen Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu finden. Auf der Strecke geblieben ist damit allerdings die Bearbeitung der seelischen Trümmer mit verheerenden Folgen für beide Generationen, vor allem aber für das Miteinander von Eltern und Kindern.

„Unsere Eltern räumten die Trümmer der zerstörten Häuser mit den Händen weg – wir, die nächste Generation, sind mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer beschäftigt.“

Die Forderung zu funktionieren, wurde nämlich auch auf die Kinder übertragen und da störten Gefühle. Ein eigener Wille, Selbstständigkeit waren schon gar nicht gefragt. „Selbstständigkeit war nicht eigenes Wahrnehmen, Denken und Fühlen, sondern Gehorchen aus freiem Willen. Dieser Doppelbotschaft waren viele Kinder ausgesetzt.“

Die Erziehungsvorgaben Haarers waren immer noch wirksam, das Kind wurde als kleiner Tyrann angesehen. „Man hatte sich ihn durch Nichtbeachtung vom Leibe zu halten“ mit der Folge, dass zwischen vielen Eltern und Kindern oft erst gar keine Bindungen entstehen konnten, die von Liebe, Geborgenheit und Verständnis geprägt waren.

Woher sollten diese auch kommen, da die Eltern in der Regel in ihrer Kindheit den gleichen Mangel erfahren hatten. Das Gegenteil war nicht selten der Fall: „Die Kinder und Jugendlichen waren aufgefordert, die Seele ihrer Eltern zu erspüren, sie mussten Antennen dafür entwickeln und sich auf sie einstellen, um den seelischen Austausch, den sie selbst so dringend für ihre Bindungsaufnahme benötigten, aufrecht zu erhalten.“

Nicht selten kam es in vielen Familien zur Parentifizierung, zu einer Umkehr der Eltern-Kind-Rolle. „Diese Dynamik eines emotionell missbräuchlichen Bindungsstils vor dem Hintergrund der elterlichen Kriegstraumatisierung färbte anscheinend die Eltern-Kind-Beziehung einer ganzen Generation. Versagten die Kinder hier, so wurden sie oft bestraft, verursachten sie doch den Eltern erneute Frustration. Die wachsenden Ichkräfte der Kinder mit eigenen Interessen und Abgrenzungswünschen konnten zu Feinden des fragilen Selbst der Elterngeneration werden. Den Kindern wurde die Seinssicherheit entzogenen, sie konnten letztlich nur durch Unterordnung, durch „lieb sein“, wiederhergestellt werden.“

Innere Leere, Einsamkeit, das Gefühl von Wertlosigkeit gepaart mit dem Drang zum Perfektionismus, zu besonderen Leistungen, um wenigstens dafür gesehen, anerkannt und vielleicht geliebt zu werden, sind vielfach Gründe sich therapeutische Hilfe zu suchen. Für Alberti wird ein kollektives Thema deutlich: „das Ringen um die eigene Identität, die Suche nach Halt und Geborgenheit und die Würdigung der Seele, der eigenen und der anderer Menschen. Häufig waren diese Menschen gezwungen, ein gut funktionierendes Pseudoselbst zu errichten.“

Albertis Erkenntnisse aus ihrer therapeutischen Arbeit mit Klienten, eröffnet die Möglichkeit, über die rein persönliche Sichtweise hinaus eine Einordnung in größere gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge vorzunehmen „wie es bei der transgenerationalen Weitergabe unseres psychologischen Erbes des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus der Fall ist.“

Ein Buch, das entlastend wirken kann, da es die Möglichkeit bietet, eigene Schuldenfallen, alte Glaubenssätze und mögliche symbiotische Beziehungen zu den Eltern zu erkennen und nach Wegen zu Verständnis und Versöhnung zu suchen.

Bettina Alberti, Seelische Trümmer, Geboren in den 50er-und 60er Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas, mit einem Nachwort v. Anna Gamma, München 3. Aufl. 2011, 207 S., ISBN 978-3-466-30866-8

3 Gedanken zu „Bettina Alberti, Seelische Trümmer

  1. Wenn ich das jetzt nochmal aus ein wenig zeitlicher Distanz lese so glaube ich, monalisa, dass jede Generation eine Aufraumarbeit zu bewerkstelligen hat.

    Mir begegnet das Thema meist derart, dass nach den „Fehlern“ geforscht wird, damit aus neuem Handeln etwas Besseres entstehen kann. Das ist für mich schon ein fast evolutionärer Rhythmus, der aus uns Menschen das gemacht hat, was wir heute sind.

    Ich glaube allerdings, das in der Art, wie diese Aufräumarbeit durchgeführt wird, noch einige Generationen großen Übungsbedarf haben werden.

  2. Menachem, mit dem Üben hast du sicher Recht.
    Ob die Suche nach den Fehlern der „richtige“ Ansatz ist, bin ich mir nicht sicher.
    Die Möglichkeit zu verstehen, ist für mich die Grundlage, um nach etwas Besserem zu suchen.
    Aber die Richtung scheint mir die gleiche zu sein.

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