Haruki Murakami, Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki

Haruki Murakami, Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki

Um es gleich vorwegzunehmen: Mir hat der neue Murakami-Roman gefallen. Ich mag seine Romane mehr oder weniger alle. Diesen eher mehr. Die Handlung ist nicht so verschachtelt wie dies in seinem letzten Roman IQ 84 der Fall war, der mich hinsichtlich der vielen Namen an eine Grenze gebracht hat.

Dieser Roman ist eine Art Entwicklungsroman. Es geht um Tsukuru Tazaki, von dem gleich im ersten Satz des Romans erzählt, dass er eine zeitlang stark selbstmordgefährdet war. Den Grund dafür erfährt der Leser im Verlauf des Romans.

In seiner Schulzeit war Tazaki Teil einer fünfköpfigen Jugendclique, die in seltener Harmonie viel Zeit miteinander verbracht hat, bis er dann als Einziger seine Heimatstadt verlässt, um in Tokio zu studieren. In der ersten Zeit fährt er häufig nach Hause, um mit seinen Freunden zusammen sein zu können, bis ihm einer der Clique – ohne Angabe von Gründen – mitteilt, man wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Keiner ist mehr bereit, sich mit ihm zu treffen. Sie lassen sich verleugnen. Tazaki versteht nicht, gibt aber auf und stürzt in eine tiefe Krise. Er magert stark ab und ist körperlich, mental und seelisch dem Tod sehr, sehr nahe:

„Hätte es in seiner Reichweite eine Tür gegeben, die direkt in den Tod führte, er hätte sie ohne Zögern aufgestoßen. Ohne zu überlegen, als natürliche Konsequenz. Doch glücklicher- oder unglücklicherweise konnte er eine solche Tür nicht finden.“

Daher hat der Leser die Möglichkeit Tsukuru Tazaki zurück in sein Leben zu begleiten mit allen Fragen und Unsicherheiten, die ihm geblieben sind. Es ist ein rückwärts erzählter Entwicklungsroman, in dem es um Freundschaft, um Vertrauen in andere und in sich selbst geht, und um die Frage: „Wer bin ich?“ – ohne andere, die auf einmal nicht mehr da sind. Denn das passiert ihm in Tokio noch einmal auf nahezu gleiche Art mit einem Freund.

Ist Tsukuru Tazaki, der als einziger seiner Clique keinen Namen trägt, in dem eine Farbe vorkommt, wirklich so farblos wie sein Name? Er fühlt sich oft leer, wie eine Form ohne Inhalt. Doch inhaltsleer, bedeutungslos ist sein Name nicht, er bedeutet, etwas machen, schaffen. Und das tut Tazaki: Er baut Bahnhöfe (um), damit sie den modernen Bedürfnissen der mobilen Gesellschaft entsprechen.

Und es geht um eine (neue) Liebe, die in Tazakis Leben getreten ist. Eine taffe junge, moderne Frau, die spürt, dass in seinem Leben etwas nicht im Reinen ist. Und das empfindet sie als zwischen ihnen stehend. Sie fordert ihn auf, dies zu klären, damit sie mit ihm zusammensein kann. Und Tazaki macht sich auf in seine Vergangenheit. Und wir Leser begleiten ihn gern dabei. Denn es ist wieder ein typischer Murakami.

Haruki Murakami, Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki, a.d. Japanischen v. Ursula Gräfe, Köln 2014, 318 S., ISBN 9789-3-8321-9748-3

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