Jan, Costin Wagner, Einer von den Guten

Jan, Costin Wagner, Einer von den Guten

Nach „Sommer bei Nacht“ und „Am roten Strand“ ist „Einer von den Guten“ der dritte Roman mit Ben Neven, einem pädophilen Kriminalkommissar, der mittlerweile die Grenze der Phantasie überschritten hat und kriminell geworden ist. Denn er hat auf der einen Seite entsprechendes pornografisches Material auf seinem privaten Computer gespeichert und schaut sich diese Videos auch an, auf der anderen Seite fährt er regelmäßig von Wiesbaden nach Dortmund, um „seinen Jungen“, einen dreizehnjährigen rumänischen Stricher zu treffen und Sex mit ihm zu haben. Und das auch noch in seinem Dienstwagen.

„Ben stoppt den Wagen, lächelt, hofft, dass der Junge das Lächeln verstehen wird. Dass er es lesen kann. Alles soll im Einvernehmen passieren, im Einklang. Danach sind wir Freunde. Der Junge erwidert das Lächeln. Flüchtig, aber es war da. Alles ist gut, denkt Ben. Der Junge steigt ein.“

Wie schafft es Ben, der als Kriminalbeamter pikanterweise dienstlich mit der Ermittlung von Pädophilen und ihren Netzwerken zu tun hat, sie in Verhören „hart rannimmt“, zu glauben, er könne einvernehmlich Sex mit „seinem“ Jungen haben und auch noch mit ihm befreundet sein?

„Ben weiß, dass er nicht er selbst ist. Dieser Mann, der Im Wagen sitzt, in seinem Körper ist ein anderer. Das ist nicht gut, nicht normal. Das darf nicht sein. … Ben tut niemandem weh. Hat er dem Jungen weh getan?“

Er dissoziiert und redet sich ein, es sei nichts passiert, nichts habe stattgefunden und er könne unerkannt sein „normales“ Leben mit Frau und Kind einfach so weiterleben, leugnet also sein Doppelleben: Was nicht sein darf, kann nicht sein. So nimmt sich also nicht als Täter wahr. Bis er dann eines Tages auf dem Stricher-Parkplatz wie paralysiert seinen eigenen Kollegen Christian beobachtet, der einen Freier kontrolliert. Doch auch da funktioniert sein Verdrängungsmechanismus erneut:

„Es kann nicht stimmen. Es kann nicht sein. Das hier passiert nicht.“ Und es ist „sein Junge“, der aus dem Auto des Freiers steigt.

Statt nach Hause zu fahren, fährt er in einen Baumarkt, nimmt sich anschließend ein Hotelzimmer, ruft seinen pensionierten „Ziehvater“ bei der Polizei an, um ihn zu fragen, wie es ihm geht. Dieser hat vor einiger Zeit seine Tochter durch einen Suizid verloren. Das setzt ihm immer noch sehr zu.
Das zweite Kapitel endet mit folgenden Sätzen:
„Auf dem Tisch neben der Badezimmertür glimmen die Holzkohle und die Briketts.
Ben Neven beginnt zu warten.“

Sätze, die man in ihrer Tragweite leicht unterschätzen kann.

In diesem hochaktuellen Fall schildert Jan Costin Wagner beklemmend nachvollziehbar, wie Ben Neven als pädophiler Kommissar den Anschein von Normalität aufrechterhalten will, zumal seine Frau, der er von seiner Arbeit berichtet, Pädophile, als „Monster“ bezeichnet und ihrem Mann aufträgt: „Ihr müsst die alle finden.“

Wie in „Sommer bei Nacht“ wird die – manchmal konstruiert wirkende und von „Zufällen“ geprägte – Handlung aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten erzählt, so dass LeserInnen sich ein Bild des gesamten Geschehens machen können, während die Beteiligten nur jeweils ihre eigene Perspektive im Blick haben.
So erfährt man – was im übrigen auch Ben Neven „wissen“, zumindest vermuten könnte – dass Adrian sich eben nicht freiwillig als Stricher prostituiert, sondern von seinem gewalttätigen Vater dazu gezwungen wird. Und erkennt, dass das „Monster“ Ben ein netter, hilfsbereiter Kollege ist, der sich um seine Mitmenschen kümmert, die von seinem Doppelleben (noch) nichts ahnen.

Ein Roman für LeserInnen, die an psychologisch dargestellten Kriminalfällen interessiert sind, deren gesellschaftliche Aktualität auf der Hand liegt, der gut lesbar ist – ich habe die ca. 200 Seiten in einem Rutsch lesen können – aber sprachlich keine Besonderheiten aufweist.

Jan Costin Wagner, Einer von den Guten, Roman, Galiani Verlag, Berlin 2023, 203 S. ISBN 978-3-86971-260-4


6 Gedanken zu „Jan, Costin Wagner, Einer von den Guten

  1. Ein Buch mit diesem Thema mag ich definitiv nicht lesen, zumal es bei mir akute Albträume auslösen würde…
    Aber ich finde es mutig und engagiert von dir, dass du dich damit auseinander gesetzt hast.
    Einen lieben Morgengruss,
    Brigitte

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