Montserrat Roig, Als wir von den Kirschen sangen

Montserrat Roig, Als wir von den Kirschen sangen

Natalia kehrt am 2. März 1974 nach Barcelona zurück, genau an dem Tag, an dem das letzte Mal in Spanien die Todesstrafe verhängt wird. Der 25 jährige Anarchist Salvatore Puig wird per Garrotte hingerichtet. Sie ist vor der katholisch, patriarchalisch und faschistisch geprägten Gesellschaft unter dem Franco-Regime geflohen und wohnt nun bei ihrer Tante Patrícia und nicht bei ihrem Bruder, dem sie nicht verzeihen kann, wie er sie nach ihrem Schwangerschaftsabbruch behandelt hat, als er sie in die Klinik fuhr, da die Gefahr einer Blutvergiftung drohte.

„Ich bin zurückgekommen, um zu verstehen, … und nur verstehe ich gar nichts. … Aber eines Tages habe ich entdeckt, dass mich nicht das Land ankotzte, sondern die Menschen um mich herum, ich selbst habe mich angekotzt. Und weißt du warum? Weil ich letztlich doch Angst hatte, dass die Zeit der Kirschen kommen würde. Aber wenn man will, dass die Zeit der Kirschen kommt, muss man daran glauben.“

Die Zeit der Kirschen ist ein Lied, geschrieben von J.-B. Clément, Dichter der Pariser Kommune, das die Sehnsucht nach Glück nach dem Ende des „grausamen Unterdrückerregimes“ besingt und unter Franco Ausdruck von Rebellion und Widerstand.

Natalia erlebt aus einer inneren und äußeren Distanz ihre Verwandten und deren Freunde, wie sich sich arrangiert und unter dem faschistischen Regime gelebt haben. Ihre Familie ist mehr oder weniger zerrüttet, der Vater verschwunden. Wo er ist, erfährt sie erst nach und nach, die eitle, stets auf ihr Äußeres bedachte Schwägerin feiert Tupperparties, die eskalieren, weil alle Beteiligen zum Schluss völlig besoffen sind. Man trifft sich also nicht wie noch im 1. Band der Trilogie im Café Núria sondern im privaten Bereich. Der Bruder hat auf seltsame Art und Weise Karriere gemacht, lebt ein typisches Doppelleben, das seine Frau ahnt, aber nicht so genau wissen will.

Montserrat Roig zeichnet auf diese Art ein Gesellschaftspanorama des Barcelonas der siebziger Jahre aus mehreren Perspektiven, da auch immer die von Natalia Beobachteten zu Wort kommen und ihre – meist von der Natalias Sicht sehr verschiedene Perspektive aufzeigen können.

Die Autorin schafft es, in präziser Sprache Atmosphären zu schaffen, die nicht nur das Ambiente der Handlung beschreiben, sondern gleichzeitig auch die innere Verfassung der Personen, die da anwesend sind.

Ein spannender Roman, der immer wieder die gesellschaftlichen und politischen Aspekte aufblitzen lässt, selbst wenn sie „nur“ von den zerrissenen Familienverhältnissen erzählt. Wirklich lesenswert! Ein Roman, dem ich viele LeserInnen wünsche.

Montserrat Roig, Als wir von den Kirschen sangen, Die Barcelonea-Trilogie, a.d. Katalanischen v. Ursula Bachhausen und Kirsten Brandt, Verlag antja KunstmannMünchen 2024, 283 S. plus Stammbaum der Familien im Anhang, ISBN 978-3-95614-602-2

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