Der Schmetterling

Der Schmetterling

Der letzte, der allerletzte,
so kräftig, hell, gelb schimmernd,
als würden sich die Tränen der Sonne
auf einem weißen Stein niederlassen.
So ein tiefes, tiefes Gelb
er hebt sich ganz leicht nach oben.
Er verschwand weil, so glaube ich,
weil er der Welt 
einen Abschiedskuss geben wollte.
Seit sieben Wochen habe ich hier gelebt.
Eingepfercht im Ghetto.
Aber ich habe hier meine Freunde gefunden.
Der Löwenzahn verlangt nach mir
und die weißen Kerzen der Kastanien im Hof.
Aber ich habe niemals 
einen zweiten Schmetterling gesehen.
Dieser Schmetterling war der letzte seiner Art.
Schmetterlinge leben nicht hier,
im Ghetto.

(Pavel Friedmann, im Ghetto Theresienstadt 1942)

4 Gedanken zu „Der Schmetterling

  1. Wie abgrundtief traurig ist das und zugleich unendlich tröstend.
    Man könnte weinen darüber…

    Das Gedenken an dieses Grauen lässt hoffentlich nie ganz nach, sowie das Bemühen, es nie mehr dazu kommen zu lassen.

    Lieben Gruss,
    Brigitte

  2. Das Gedenken sollte auf keinen Fall aufhören, nur dann kann auch bewusst bleiben, den Anfängen zu wehren und Ausschau danach zu halten, was man selbst in der eigenen Umgebung dafür tun kann.
    Mir macht das Gedicht aber auch deutlich, dass es sinn-voll sein kann, trotz allem den Fokus für das Schöne, Lebendige, für das Leben und die Liebe beizubehalten, dieses Und-dennoch bzw. Und-trotzdem.
    Herzliche Grüße

  3. Rein zufällig waren wir am Internationalen Shoa-Gedenktag in Wien. Vor den Toren der Öst. Nationalbank ist eine riesige Gedenkstätte rund um einen Park errichtet. Ungezählte Tafeln, auf denen die Namen und Geburtsjahre von tausenden jüdischen Menschen stehen.
    Namen machen noch greifbarer, was niemals vergessen werden darf.
    Das, was sich derzeit in Israel wieder zusammenbraut, gibt mir allerdings auch sehr zu denken. Ein frisch entflammter Krisenherd mehr auf dieser Welt. Unfassbar traurig!
    Ja, das Gedicht ist Zeuge dafür, den Blick auch für alles Lebendige und Gute zu schärfen.
    Ganz liebe Grüße,
    C Stern

    1. Ja, ich beobachte das ebenfalls mit zunehmend hilfloser Sorge –
      Soviel tiefsitzender Hass, abgrundtiefe Wut … und diese aufrüstende Haltung, als wenn mehr Waffen, ja sogar die Androhung der Todesstrafe die Ursachen beseitigen könnten.
      Dazu bedarf es anderer Mittel.
      Liebe Grüße zu dir nach Wien.

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