Daniel Levin, Milenas Versprechen

Daniel Levin, Milenas Versprechen

„Milenas Versprechen“ ist eine Art moderner Briefroman – allerdings als Mail-Korrespondenz – zwischen Rachel, einer in Tel Aviv wohnenden Musiktherapeutin, und Milena, die sich später als Thomas, Milenas Sohn entpuppt, der in den USA lebt, als Kriminologe arbeitet, aber aus der Schweiz stammt. Die Einführung übernimmt ein Erzähler, der dann jedoch nur noch Rachel und Thomas zu Wort kommen lässt.

„Auf eine E-Mail war sie besonders gespannt.
Vor etwa zwei Wochen hatte sie eine Nachricht von einer unbekannten Person erhalten. Der Absender war „Milena18″. Die Nachricht selbst war nicht besonders freundlich oder einladend gewesen; bloß eine kurze Frage, ob der Empfänger Lust auf einen Austausch per Mail habe. Keine Anrede, keine freundlichen Grüße, und Rachel war nahe daran gewesen, die Nachricht zu löschen. Das Einzige, das sie davon abgehalten hatte, war ihre Verwunderung darüber gewesen, wie der Absender allen Ernstes erwarten konnte, eine Antwort auf eine dermaßen schnippische Anfrage zu erhalten.“

Es entwickelt sich ein „scharfzüngig, präzises, schlagfertiges, oft beißendes Hin und Her“, das zunächst noch sehr unpersönlich ist, sich um Themen wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit, um Widerstandsrecht und/ oder -pflicht, um Schicksal, Fügung, (Eigen-)Verantwortung und Schuld, um die Möglichkeit und den Stellenwert von Toleranz in unterschiedlichen Religion geht. Zwischendurch hat man den Eindruck, man sitze in einer hochkarätigen, interdisziplinären Vorlesung bzw. einem Seminar, veranstaltet von Philosophen, Theologen und Juristen, die an der Diskussion dieser Themen interessiert sind.

Letztendlich sind diese Ausführungen aber eine lange Hinführung zum eigentlichen Thema: Thomas Mutter Milena ist vor Jahren in der Schweiz wegen Mordes an ihrem Ehemann angeklagt worden, den sie einen Abhang hinuntergestoßen haben soll. Sie ist zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden, obwohl die Indizien sehr dürftig waren und seine Mutter den Mord nie gestanden hat.

Thomas hat nicht verstanden, weshalb seine Mutter gegen das Urteil nie vorgegangen ist, also keine Berufung eingelegt und auch die Einreichung von Gnadengesuchen abgelehnt hat. Warum nur hat sie ihn und seine Schwester – gefühlt – so im Stich gelassen? Das passt eigentlich nicht wirklich zu ihr und ihrem aufrichtigen, ehrlichen und wahrhaftigen Charakter.

Die Korrespondenz zwischen Thomas und Rachel ist die labyrinthische Suche nach den Gründen, die die Mutter dazu bewogen haben können, nichts zu sagen, gleichzeitig aber auch die Suche nach dem wirkliche Mörder seines Vaters. Von seiner Mutter hat Thomas nach Jahren den Auftrag bekommen, „seinen eigenen Zeugen zu finden.“ Immer mehr Anknüpfungspunkte zwischen Thomas Mutter Miriam und Rachels Vater Michael lassen sich erkennen. Relativ schnell klar ist, dass Rachels Vater ist einst Student bei Miriam gewesen ist und Thomas ihm als Kind in der elterlichen Wohnung Studienunterlagen seiner Mutter für ihre Student:innen übergeben hat.

Doch wie soll Rachels Vater zur Aufklärung beitragen können?

Der Roman liest sich wie ein Indizienprozess vor Gericht, in dem es um jedes Detail, um jeden noch so kleinsten Hinweis gibt, hinsichtlich der Sachlage, aber auch der besonderen Persönlichkeiten der am „Prozess“ beteiligten Personen. Leser:innen, die sehr genau lesen, sind eindeutig im Vorteil. Zusammenhänge erahnen kann man schon recht früh. Dennoch sind die dazwischenliegenden Ausführungen in Form sehr unterschiedlicher Recherchen wichtig.

Diesen Roman zu beurteilen, fällt mir schwer. Auf der einen Seite gefallen mir die juristisch, philosophisch und theologischen Ausführungen, gleichzeitig habe ich mich sich sehr lange gefragt, was das Ganze denn zur Wahrheitsfindung welchen Sachverhaltes beitragen soll. Als retardierendes Moment in diesem Roman zu langatmig und im Grunde genommen ein Schwergewicht mit viel Eigengewicht und – bedeutung.

Als Roman, aber mit derart vielen Fachtermini, die sicher viele erst einmal nachschlagen müssen, wenn sie nicht aus einer der angesprochenen Fakultäten kommen, also entsprechend vorgebildet sind, ist er möglicherweise eher für einen begrenzten Kreis (ehemaliger) Mitglieder dieser Fakultäten geeignet. Schade, denn die Rechtsfragen dieses spannenden und ungewöhnlichen Rechtsprozesses haben es in sich, sicher auch für ein größeres Publikum.

Daniel Levin, Milenas Versprechen, Roman, Elster & Salis Verlag, Zürich 2021, 292 S., ISBN 978-3-03930-002-0

2 Gedanken zu „Daniel Levin, Milenas Versprechen

  1. Danke für diese spannende Buchvorstellung.
    (Sicher keine Lektüre für jede und jeden.)
    Ich lese deine Zusammenfassungen immer sehr gerne.
    Lieben Gruss ins Wochenende,
    Brigitte

  2. Danke für deine Rückmeldung.
    Ja. Der Roman ist schon sehr herausfordernd.
    Zwischendurch habe ich mich dann auch gefragt, ob es tatsächlich ein Roman ist oder tatsächlich ein Essay in romanhafter Art und Weise erzählt.
    Seine Profession als Jurist ist auf jeden Fall unverkennbar.
    Herzliche Grüße

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