Edem Awumey, Die schmutzigen Füße

Edem Awumey, Die schmutzigen Füße

„Schmutzige Füße“ ist nach „Nächtliche Erklärungen“ der zweite auf Deutsch erschienene Roman von Edem Awumey, in Togo geboren, der aber seit 2009 in Vieux-Hull bei Ottawa lebt und schreibt. Der Roman ist im Weidle Verlag erschienen und vom Verleger Stefan Weidle aus dem Französischen übersetzt worden.

Als „schmutzige Füße“ werden Askia, seine Mutter und sein später verschwundener Vater bezeichnet, letztendlich aber alle Menschen, die sich meist zunächst auf Wanderschaft auf der Suche nach einem besseren Zuhause befinden, später dann auf der Flucht, weil sie für Naturkatastrophen, wie ausbleibendem Regen, oder anderen Unglücken als Sündenböcke herhalten müssen und vertrieben werden.

„Wir sind lange unterwegs geblieben, mein Sohn. Überall hat man uns die >schmutzigen Füße< genannt. Wenn du selbst aufbrechen würdest, könntest du das verstehen.“

Und Askia ist aufgebrochen. Er lebt als Illegaler mit gefälschtem Taxischein in Paris, fährt nur nachts und haust in einer Unterkunft, die nicht nach Aufenthalt „schreit“. Lange hat man als LeserIn den Eindruck, Askia sei nur auf der Suche nach seinem Vater. Immer wieder wird er von unterschiedlichen Menschen, aus sehr unterschiedlichen Gründen auf seine Ähnlichkeit mit einem Mann angesprochen, den sie aus anderen Zusammenhängen kennen. Meist sind es sehr unkonkrete Hinweise, bis er bei einer Fahrt Olia, eine Fotografin, kennenlernt, die sicher ist einen Mann mit weißem Turban – dem „Markenzeichen“ seines Vaters – fotografiert zu haben, mit dem Askia eine verblüffende Ähnlichkeit hat. Sie will Askia diese Bilder zeigen, findet sie aber letztendlich nicht. Doch Askia lässt nicht locker. Immer wieder taucht er bei ihr auf, will mithelfen, die Bilder zu finden. Ganz allmählich beginnt so etwas wie eine zarte Freundschaft zwischen den beiden.

In der Begleitung von Askia lernt man ein anderes Paris kennen, das eher im Verborgenen, im Dunkeln, in der Nacht lebendig ist, „weil Paris ein Mekka war, wo Tausende von schmutzigen Füßen nach ihrem Exodus landeten, am Ende aller Wege, aller Entbehrungen.“ Askia kennt die Ausgestoßenen, die, die sich aus sehr unterschiedlichen Gründen verstecken. Da gibt es u.a. den Bar-Besitzer Petite-Guinée, der als Söldner und Waffenhändler Menschen auf dem Gewissen hat, in seinem Keller Fotos von Kindern aus Biafra aufbewahrt und über diese Bilder versucht, „den Leiden seiner Seele ein Ende zu setzen. … Das passiert immer, wenn ich runtergehe und mir die Bilder anschaue. Es versetzt mir einen Schlag in den Bauch und meine Haut gefriert.“

Als LeserIn begleitet man Askia durch seine Wege in Paris, taucht mit ihm über seine (Alb) Träume, Erinnerungen, Flashbacks in seine Vergangenheit und lernt immer neue Facetten seiner Person kennen. Er ist nicht einfach nur nach Paris gekommen, um seinen Vater zu suchen, sondern weil er fliehen musste. Denn er gehörte eine zeitlang der Zelle an, einer „Organisation mit einer inoffiziellen Kommandostruktur, eine Miliz, die spezialisiert war auf Entführungen, Folter, Mord. Ein klassisches Pflichtenheft. Askia gehörte dazu und musste für Ordnung sorgen. Für ihn war es ein freiwilliges Engagement, ein Eintauchen in das, was man ein Säuberungsprogramm nannte und nennt.“ Er wird zum „Künstler des Todes, der seine Ausbildung schon während der Kindheit in Trois-Collines absolvierte, am lebenden Modell des Hundes Pontos.“ Und nun wird er selbst zum Verfolgten, als Verräter der Zelle, aber auch als Hassobjekt von Schwarzjacken, die ihn mit Eisenstangen verfolgen, die gnadenlos anders Aussehende verfolgen, und erwischen: „Vergewaltigt, abgestochen, und zerstückelt, bevor man ihre abgeschnittenen Untermenschen-Köpfe im Triumph herumtrug.“

Askia entwickelt zunehmend Suizidgedanken, spielt mit verschiedene Varianten, in die sich wiederum Erinnerungen an seine Eltern mischen, so dass der Roman auch noch in mosaikhafter Manier die Familiengeschichte Askias erzählt, der die Frage Olias „Wer bist du?“ nicht beantwortet, wohl auch nicht beantworten kann. Selbst als LeserIn, der/die am Ende informierter ist als Olia, kann man die Frage nicht beantworten, ich jedenfalls kann es nicht.

Dieser Roman, der über weite Teile poetisch zart, in vielen Bildern die Geschichte Askias erzählt, hallt lange nach, ist geprägt von einer Atmosphäre einer überall vorhandenen Gewalt, in welcher Form auch immer sie sichtbar wird, von Hoffnungs-, Aussichtslosig- und Perspektivlosigkeit, die nach Veränderungen geradezu schreit, einen gleichzeitig aber ob der globalen Dimensionen ratlos zurücklässt, vor allem, wenn man den Regierenden der Welt zusieht, wie sie angesichts immer größer werdender Katastrophen agieren.

Es ist ein wichtiges, ein notwendiges Buch.

Edem Awumey, Die schmutzigen Füße, Roman, a.d. Französischen v. Stefan Weidle, Weidle Verlag, Bonn 2021, 153 S., ISBN 978-3-949441-01-1

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