Karen Duve, Sisi

Karen Duve, Sisi

Karen Duves Verdienst ist es – auch schon in ihrem letzten Roman „Fräulein nettes kurzer Sommer“ über Annette von Droste-Hülshoff – historische Frauenfiguren von ihren Klischees und Anhaftungen – über die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg entstanden – zu befreien und sich so ihren Persönlichkeiten in ihrer ganzen Bandbreite zu nähern.

Sie hat im Hinblick auf die Kaiserin Elisabeth von Österreich unglaublich viele Quellen zu Verfügung gehabt, da über „Sisi“ viel geschrieben worden ist, u.a. die Tagebücher ihrer Hofdame, die ihr in „devoter Dankbarkeit“ verbunden war, verbunden sein musste, denn Sisi war ihr Lebensinhalt und – sinn, über den sie akribisch wachte.

Der sich über einen Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren erstreckende gesamte Roman ist im Präsens geschrieben, so dass eine Unmittelbarkeit und Präsens des Dargestellten entsteht und der Leser, die Leserin glauben könnte, Teil des Geschehens zu sein.

Sisi ist bereits 38 Jahre alt und kämpft mit eiserner Disziplin – sie hungert, macht stundenlange Spaziergänge, hat so etwas wie einen „personal coach“, eine Frau, die ihr die diversen Ratschläge gibt – gegen mögliche Alterungserscheinungen, die für sie eine Katastrophe bedeuten. Sie weiß um den gesellschaftlichen Wert ihrer Schönheit und die Bedeutung für sie persönlich und ist sich gleichzeitig des herannahenden „Verfallsdatums“ bewusst.

„Die Schönheit der Kaiserin ist legendär. Dabei ist sie schon 38 Jahr alt. … Es ist mehr als das hübsche Gesicht und die phantastische Figur – ihre Schönheit ist nicht greifbar, sie scheint einen Meter vor ihr her zu schweben. Ist es die Haltung? Ihre Anmut? Die Art, wie sie ihren Kopf neigt und mit geschlossenen Lippen lächelt? Man weiß nur, dass man sie immerzu anstarren will.“

Und bei ihren beliebten Jagden lässt sie sich bewundern, wird bewundert, nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihrer verwegenen Reitkünste, ihres Mutes, Hindernisse zu nehmen und keiner Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen bzw. zu reiten. Sie nötigt allen beteiligten Reitern ihre Bewunderung ab und fühlt sich frei und lebendig – ungebunden von den sonst so starren höfischen Regeln der Burg in Wien und flirtet mit dem ein oder anderen Jagdbeteiligten.

Die unterschiedlichen Jagdarten werden geschildert, die Uniformen, Tressen, Knöpfe – was auch immer an Abzeichen dazugehört in einer Detailliertheit, die mich persönlich zwischendurch genervt hat, weil genau das mir nicht wichtig ist, damals aber zugegebenermaßen äußerst wichtig war und in manchen Kreisen auch heute noch wichtig ist, wie man an der Beerdigung Königin Elisabeths von England vor einiger Zeit ja hat erkennen können. Gleichzeitig werden aber auch die Grausamkeiten einer solchen Jagd für die beteiligtenTiere nicht verschwiegen sowie die Gefahren für die beteiligten Reiter:

„Die englische Fuchsjagd ist die waghalsigste aller überflüssigen Aktivitäten. Man reitet in einem ähnlichen Tempo wie bei einem Pferderennen, nur dass es querfeldein und über Hecken und Gräben geht. Ein Kaninchenloch genügt … und schon stürzt man … bricht sich den Rücken oder gleich das Genick. Jeder weiß das. Das House of Lords ist voller Rollstühle – alles Jagdunfälle. In den vornehmen Sanatorien vegetieren die Jagdreiter mit den irreparablen Hirnschäden vor sich hin.“

In diesem Umfeld wird sie nach anfänglicher Skepsis respektiert und man reißt sich fast darum, ihr Pilot sein zu können.

Politik scheint sie nur am Rande zu interessieren, sie hat auch kein Problem, die englische Königin von England mit einer fast schon unhöflich kurzen Stippvisite zu düpieren, da ihr das Jagen wichtiger ist. Zudem hat sie hat die Erfahrung gemacht, dass ihre Ansichten bei ihrem Gemahl Franz Joseph eher auf taube Ohren fallen, sie, die von ihrer Schwiegermutter eigentlich nur im Hintergrund geduldet wird.

Die Ehe mit Franz Joseph ist eigentlich keine (mehr). Seit Sisi von ihrem Mann mit einer Geschlechtskrankheit infiziert worden ist, will sie keinen körperlichen Kontakt mehr mit ihm. Franz Joseph trifft sich regelmäßig in einem Park mit Anna, einer Bürgerlichen, die ihn nicht ansprechen, aber sonst zu seiner Verfügung stehen darf, wenn der Kaiser es denn will. Ob sie nun schwanger dabei wird oder nicht, nicht das Problem eines Kaisers, bzw. mit Geld aus der Welt, aus seiner Welt zu schaffen. Ihre drei Kinder sind ihr ungleich wichtig. Wie es Gisela, der Ältesten geht, scheint ihr nahezu egal, Rudolf, ihren Sohn, verachtet sie in seiner Art nahezu und verbietet ihm, bei Jagden dabei zu sein, damit er sie nicht blamieren kann. Einzig das Wohl Valeries, der jüngsten Tochter, ist ihr wichtig und das dann schon über die Maßen.

Und dann erhält Sisi ihre nicht standesgemäße Nichte Marie Wallersee an ihre Seite, die reit- und fechtkundig, ebenfalls sehr selbstbewusst ist und sich zwischen höfischen Normen und einem individuellen Freiheitsbedürfnis bewegt, wegen ihrer fehlenden Standesgemäßheit aber von vielen gemieden wird. Die beiden sind sich zunächst sehr zugetan, sehr zum Kummer der Hofdame Festetics, die in Marie eine Konkurrentin sieht. Doch dann scheint die jüngere Maire auch für Sisi allmählich zur Konkurrenz zu werden. Und Marie muss weg, d.h. sie muss verheiratet werden. Gefragt wird sie natürlich nicht.

Sisi ist nicht nur das Portrait einer historischen Frau zwischen dem Wunsch nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung und den Zwängen ihrer Stellung als Kaiserin, sondern gleichzeitig Sittengemälde höfischen Lebens in einer Monarchie, die alles – auch kriegerische Auseinandersetzungen – unternimmt, ihre Macht zu erhalten, liberale Strömungen unterbindet und das Wohl der Untertanen nur dann in den Fokus nimmt, wenn es öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellt werden kann. Presseberichte werden – natürlich – vorher festgelegt. Personen haben Gefühle, sie zu zeigen, ist allerdings nicht opportun. So muss Sisi mit ihren Launen, Traurigkeiten, ihrer Wut, ihren Enttäuschungen allein klar klarkommen, kann sie allerdings stets an irgendjemandem auslassen, wenn sie will:

„Alles ist ihr gestattet.“ – aber auch dieser Satz ist nur bedingt richtig. Immerhin ist sie Kaiserin und demnach der Etikette verpflichtet.

Es ist ein sicher wichtiger Roman, der mich allerdings im Mittelteil eher gelangweilt hat, denn eine Jagd gleicht der anderen, auch wenn das Publikum mit seinen unterschiedlichen Vorurteilen, Animositäten, Intrigen etc. ein wenig variiert, bleiben sie doch im Wesentlichen gleich. Mir wurde der Roman zwischendurch dann zu einer Art „yellow Press“ – zugegeben der sehr gehobenen Art, die mich aber nicht wirklich interessiert.

Karen Duve, Sisi, Roman, Galiani Verlag, Berlin 2022, 412 S., ISBN 978-3-86971-210-9

8 Gedanken zu „Karen Duve, Sisi

  1. Kaiserinnen, Königinnen, Adel und Jagd gehören nicht zu meinen bevorzugten Themen.
    Was aber nicht heisst, dass so ein Buch keine Berechtigung hätte. – Nur für mich ist es kein Anreiz für eine spannende Lektüre.
    Da bin ich mit deiner Beschreibung bestens versorgt. :–)
    Lieben Gruss ins Wochenende,
    Brigitte

  2. Bei mir war es auch eher die Erinnerung an die Droste, die mich bewogen hat, dieses Buch zu lesen ,) – war als Motivation letztendlich nicht ausreichend.
    Sonnengrüße aus Speckhorn

  3. oh, gut, das hier bei dir zu finden, ich hatte schon überlegt, es zu kaufen, es gab da so jubelnde besprechungen. in der einen fand sich (sinngemäß) die bemerkung: „akribisch recherchiert“ und irgendwie hielt mich das zurück. nu weiss ich…

    1. Bei jubelnden Besprechungen schaue ich immer genau hin, von wem sie stammen ;), vor allem wie früh sie entstehen – ich frage mich dann sehr oft, ob die Verfasser tatsächlich den gesamten Text gelesen haben.
      Dennoch: auch meine Besprechungen sind subjektiv ;)
      Liebe Grüße

  4. Zurzeit läuft ja auch ein Film im Kino – „Corsage“. Der hätte mich durchaus gereizt. Nun, für mich leider eh kein Thema, hat mich doch das Virus niedergerungen.
    Daher nun viel Zeit für Bücher, deshalb bin ich Deiner Beschreibung wieder mit größtem Interesse gefolgt, vielen Dank für die Einblicke!
    Ich habe festgestellt, dass es für mich kein Buch ist, das ich lesen möchte, denn auch mir sind die Jagdgesellschaften zuviel –
    obwohl ich die Zeit, in der Sisi lebte, als eine sehr spannende, weil so voller Widersprüche, empfinde. Und ich frage mich, ob wir uns gesellschaftlich um so vieles weiterentwickelt haben …?
    Sisi lächelte immer sehr verhalten, es scheint an ihren Zähnen gelegen zu haben. Für diese hat sie sich angeblich geschämt. Und auch der übrige Körperkult ist heute immer noch Thema bzw. mehr denn jemals zuvor. Viele Wirtschaftsbereiche leben davon …
    Liebe Grüße, C Stern

    1. Ihre besondere Art, beim sprechen die Zähne bedeckt zu halten, wird im Roman auch erwähnt, offensichtlich hat sie ihre Zähne als Makel empfunden, die den Gesamteindruck hätten schmälern können.
      Dass du jetzt Zeit zum Lesen hast – ist doch etwas Schönes, der Grund dafür sicher nicht, doch dich scheinen die „milde Variante“ und ein milder Verlauf erwischt zu haben.
      Gute Besserung :)

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