Sabine Bode, Kriegsenkel
Hat sich Sabine Bode in „Die vergessene Generation“ mit den Kriegskindern beschäftigt, von denen einige in der Lage gewesen sind, ihr Schweigen zu brechen, so beschäftigt sie sich in diesem Buch mit der Frage:
„Wie sind Menschen damit umgegangen, dass sie mit Eltern aufwuchsen, denen der Krieg immer noch in den Knochen steckte, was ihnen aber kaum bekannt war?“
Die Wege, die die Kriegsenkel für sich entdeckt haben, mit ihrer Situation klar zu kommen, sind höchst unterschiedlich, so wie Menschen und Lebenssituationen stets unterschiedlich sind. Dennoch weisen ihre Situationen bestimmte Gemeinsamkeiten auf, die offensichtlich mit der Nachkriegssituation der Eltern zu tun haben.
Kriegsenkel nabeln sich relativ spät, wenn überhaupt von ihren Eltern ab, sind dabei geprägt von einer „außergewöhnlichen Loyalität gegenüber Mutter und Vater, nicht selten eine Loyalität, der sie ihre eigene Weiterentwicklung und ihre Wünsche unterordnen.“ Sie haben durchweg die Erfahrungen gemacht, dass „ihre Ängste und inneren Nöte von den Eltern nicht ernst genommen wurden.“ Sie quälen sich oft mit dem Gefühl, „sie würden ihre Potentiale nicht ausschöpfen. Irgendetwas bremst sie.“ Gefühle von Verlorenheit, Einsamkeit, Unsicherheit, von fehlender Geborgenheit, nicht vorhandenem Urvertrauen und das Gefühl, nicht geliebt zu sein, nichts wert zu sein, außer man zeigt Leistungen entsprechend der elterlichen Vorgaben. Hinzu kommt das Entsetzen, die Eltern emotional nicht zu erreichen, aber auch von den Eltern emotional nicht berührt worden zu sein. Versorgt, aber nicht umsorgt, nicht spürbar geliebt worden zu sein und darüberhinaus oft noch Abwertungen erlebt zu haben mit Sätzen wie: „Stell dich nicht so an. Du bist übersensibel.“
Vielen der von Sabine Bode Interviewten hat es geholfen, sich – gegen allen Widerstand innerhalb der Familie – mit der Familiengeschichte zu beschäftigen und auseinanderzusetzen, weil es ihnen manchmal die Möglichkeit eröffnet hat, zumindest Erklärungen für das bis dahin unverständliche Verhalten der Eltern zu bekommen und ggf. ein gewisses Verständnis für die Eltern, vor allem aber für die eigene Person und Lebenssituation zu entwickeln.
Nicht selten sind die Erkenntnisse aber auch von Entsetzen begleitet:
“ Wenn ich die Generation meiner Eltern anschaue, sehe ich über ihrem Kopf immer eine Sprechblase hängen, in der mit fetter Schrift steht: ICH!ICH!ICH! Ich sehe eine maßlose und infantile Ich-Bezogenheit, die Verständnis und Offenheit für andere Menschen, andere Generationen, andere Lebensmodelle und völlig neue Lebensbedingungen blockiert. … Dabei haben sie gar nicht gemerkt, wie sie die Grenzen anderer missachten.“
Solche Beschränktheiten haben dann auch nicht selten zu Kontaktabbrüchen geführt, wenn Versuche, zu einem veränderten Umgang zu gelangen, abgeblockt worden sind. Sabine Bodes Standpunkt dazu formuliert sie so:
„Kriegsenkel, die sich heute noch nicht wirklich abgenabelt haben, tun gut daran, sich von ihren Hoffnungen auf Gemeinsamkeiten mit den Eltern zu verabschieden. Sie sollten sich nicht länger um mehr Nähe bemühen, sondern die Beziehung so akzeptieren wie sie ist. … Viele Kriegsenkel werden lernen müssen, sich selbst wichtig zu nehmen und notwendigen heftigen Auseinandersetzungen mit den Älteren nicht länger aus dem Weg zu gehen.“
Sabine Bode, Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation, Stuttgart 6. Aufl. 2013, 303 S., ISBN 978-3-608-94808-0
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