Steinunn Sigurdardóttir, Nachtdämmern

Steinunn Sigurdardóttir, Nachtdämmern

Steinunn Sigurdardóttir zeigt in diesem Gedichtband auf beeindruckend deutliche, poetische Weise, wie die Gletscher Islands durch den von Menschen zu verantwortenden Klimawandel allmählich verschwinden, für den sich letztendlich – in ihrer Wahrnehmung – niemand wirklich verantwortlich fühlt, obwohl er so klar sichtbar ist:

Und wer ist der mensch, der tatenlos diesem
ständigen sterben zusieht? In vollem wissen.

Für sie sind es die ausbeuterisch handelnden Reichen, mit ihrem Bedürfnis nach
champagner für hundert Jahre,
operationssälen.

Sie prophezeit ihnen:
Und sternenlos werden die steinreichen
vernichter in ihren unterirdischen bunkern sein.


Das lyrische Ich ist als Kind in Sichtweite eines Gletschers auf gewachsen, ihres „hellen Ewigkeitsberges“, der im Laufe ihres Lebens zu einer „haltlosen Halde“, wird

„Das Vollbrachte Endgültige Ende der Ewigkeit.“

Es schildert neben der eigenen Entwicklung zur jungen Frau und Mutter zunächst auch die unterschiedlichen Beziehungen, die Isländer zu ihren Gletschern haben, um dann auch die überall offensichtlichen Veränderungen der Natur, das Wenigerwerden der Vogelgesänge und der Anzahl der Bienen:
Die arten sterben jetzt schnell.

Trotz der Fähigkeit des Menschen zur Vernunft
verstehen wir die
erderwärmugskatastrophe
und lassen sie dennoch geschehen

kinder und enkelkinder. niedlich auf
facebook.
Was wird aus diesen niedlichen und ni
edlichen dieser niedlichen?

Da lyrische Ich wünscht sich, dass nicht tatenlos zugesehen wird, wie die Welt ständig weiter zugrunde geht, für sie sichtbar am allmählichen Verschwinden der isländischen Gletscher. Es möchte zaubern können und malt sich aus, was es täte, könnte es zaubern, es stößt einen
Z A U B E R S C H R E I aus:

Wenn ich einen richtigen zauber könnte

zauberte ich meine alte erde aus den bösen
verwünschungen des blutsaugers heraus

der meine mutter ausgesaugt hat.

Ein erwachsener säugling mit reißzähnen.
Beißt ihr die brustwarzen ab.

Saugt blut anstatt milch
quetscht
bis zum letzten tropfen.

Beschreibungen, Feststellen des Offensichtlichen und Fragen lassen Leser:innen nicht los, machen ihnen die eigene Verantwortung deutlich, Lösungen und Antworten zu finden auf Fragen wie diese:
Wir sehen der welt hinterher. Ihres nutzens
und ihrer qualitäten.

Nahrungsvorräte verdorren, trinkwasser,
welche formen wird die not annehmen?

Es sind 108 Seiten eindringlich poetischer Bilder und Appelle, endlich Stellung zu beziehen, das eigene Verhalten zu überprüfen und zu korrigieren. Das allerdings geschieht nicht explizit, ist aber naheliegend. Es ist Poetik, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist, dennoch nicht vordergründig politisch.

Steinunn Sigurdardóttir, Nachtdämmern. Gedichte. Deutsch v. Kristiof Magnusson, Dörlemann Verlag, Zürich 2022, 118 S., ISBN 978-3-03820-107-6

9 Gedanken zu „Steinunn Sigurdardóttir, Nachtdämmern

  1. Klingt höchst beeindruckend und eindringlich!
    Mir scheint allerdings, dass solcherart Aufrufe ohnehin meist (nur) die erreicht, die sich mit all dieser Problematik schon auseinandersetzen und in ihren Verhaltensweisen Veränderungen vorgenommen haben.
    An vielen anderen wird diese Art von Literatur vermutlich ungelesen vorübergehen, was ich äußerst bedauerlich finde.

    Ich habe heute schon daran gedacht, Dir einen Tipp zu hinterlassen. Meinen Tag habe ich heute mit „Léon und Louise“ verbracht, Autor: Alex Capus.
    Ein großartiger Roman, leichtfüßig und wunderbar in seiner Sprache und auch inhaltlich sehr ansprechend.

    Auf einen gut verbrachten September!

      1. Da muss ich jetzt lächeln, denn ich habe nun schon zwei Rückmeldungen darüber, dass das Buch bereits bekannt ist :-)
        Ich habe Deine Rezension gelesen und sehe, dass Du das Buch so empfunden hast wie auch ich.
        Liebe Grüße!

  2. Das ist bestimmt ein echter und eindringlicher Hilfeschrei.
    (Wie gut die Übersetzung ist und dem Original gerecht wird, kann man leider nicht überprüfen. Das ist immer recht schwierig.)
    Wie C Stern bin ich auch der Meinung, dass die mahnenden Worte kaum eine Wirkung an den richtigen Stellen erreichen können. Mir scheint ausserdem, dass Lyrik für Appelle dieser Art denkbar ungeeignet ist.
    Anderseits ist es legitim, alles mit Gedichten zur Sprache zu bringen – warum also nicht auch die Umweltproblematik.
    (Ich würde allerdings ein Sachbuch dazu vorziehen.)
    Danke für die Besprechung und lieben Gruss,
    Brigitte

    1. Das mit der Übersetzung ist stets ein Thema. Für mich in diesem Fall auch nicht überprüfbar. An manchen Stellen etwa habe ich die Großschreibung auch nicht nachvollziehen können. Doch das ist ein weiteres Thema.
      Ich denke schon, dass Lyrik appellativ sein kann und darf. Es hat sicher eine andere (emotionale) Wirkung als ein Sachbuch. Das eine schließt das andere ja nicht aus ;)
      Liebe Grüße

  3. Nicht nur die Reichen,
    wir alle stehen in der Pflicht.
    Dazu von mir nochmal ein kleiner Bericht:😉

    Es bremst kein Emissionshandel
    den weltweiten Klimawandel.
    Nicht ewiges Wachstum und Geld,
    Nachhaltigkeit rettet die Welt.

    WENIGER IST MEHR

    Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
    getrieben vom ewigen Wachstumswahn.
    Autos werden größer, Straßen breiter,
    die Wälder dagegen schrumpfen weiter.

    Es ist höchste Zeit für uns, zu handeln,
    endlich uns’ren Lebensstil zu wandeln.
    Was nützt uns Wohlstand und alles Geld,
    wenn am Ende kollabiert die Welt?

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Für die Zukunft des Planeten,
    weg mit Panzern und Raketen.
    Lasst die weißen Tauben fliegen,
    Aggression und Hass besiegen.
    Die Leute legen ab den Neid,
    die Religionen ihren Streit.

    Fromme und Heiden sind vereint,
    uns’re Sonne für alle scheint.
    Keiner ist des Anderen Knecht,
    für alle gilt das Menschenrecht.
    Jeder kann glauben, was er will,
    Frieden und Freiheit unser Ziel.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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