Susanne Kerckhoff, Berliner Briefe

Susanne Kerckhoff, Berliner Briefe

Susanne Kerckhoff war eine Berliner Journalistin und Schriftstellerin mit einer lauten, klaren und dennoch poetischen Stimme im literarischen und politischen Diskurs der Nachkriegszeit, die sich nicht scheute, deutlich Stellung zu beziehen.

In ihrem fiktiven, 1948 erschienen Briefroman „Berliner Briefe“ schreibt sie in dreizehn Briefen an ihren nach Paris emigrierten jüdischen Freund Hans über die Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland bzw. in Berlin.
„In diesen Briefen spiegeln sich Ratlosigkeit und Hoffnung. Ein Mensch bemüht sich, innerhalb der gegebenen Situation über das politische Woher und Wohin Rechenschaft abzulegen.“

Die Antworten ihres Freundes bekommt man nicht zu lesen, erfährt nur durch ihre Stellungnahmen, dass er ihr offensichtlich geantwortet hat.

Die Position der Briefeschreiberin ist eine radikal subjektive, das betont sie immer wieder, „weil ich zu einer Objektivität gar nicht imstande bin!“ Sie sinniert über die Frage des Umgangs mit der Schuld an den vielen unterschiedlichen Verbrechen während der Nazizeit und ist entsetzt darüber, wie ehemalige und Noch-Nazis mit ihrer Vergangenheit umgehen:

Einige Große hat man gehängt. Genug kleines Giftzeug läuft – leider! – frei herum, trauert seinen Großen nach und trachtet nach Großem! …
Wunderst Du Dich, dass ich diese Demokratie mit Angst betrachte?
Ja, hätten die Deutschen sich gewandelt, seufzten sie unter der Last ihrer Schuld, es wäre Unrecht, ihnen nicht wieder aufzuhelfen. … Ich habe nicht einen schuldbewußten Nazi angetroffen, nicht einen, nicht einen einzigen! Entweder waren sie gar keine Nazis, oder sie sind, wie es dem charakterfesten deutschen Manne geziemt, stolz darauf, Nazi gewesen zu sein und es zu bleiben, „bis mal wieder andere Zeiten kommen!“

Sie macht sich Gedanken über die politische Zukunft, über die Parteien mit ihren weit verbreiteten Formen „geistiger Planwirtschaft“, über die immer noch aktiven Nazis, die weiterhin großen Rückhalt in der Bevölkerung haben, weil sie wissen, dass „breite Schichten des deutschen Volkes noch immer ersehen: sich von jeder Verantwortlichkeit zu drücken und die Schuldenlast von sich abzuwälzen.“ Der Jude als Sündenbock für alles wird immer noch herangeholt.

Ihre zu Beginn des Briefromans eher euphorische Stimmung, die Hoffnung darauf, „Jetzt wird alles gut“, ist gewichen. Die Schwierigkeiten der „Umerziehung“ sind so zahlreich angesichts „der vielen Voraussetzungen im deutschen Volkscharakter zum Nazismus … diese masochistische Lust, sich als wehrloses Treibholz zu fühlen – diese Überheblichkeit im Aburteilen anderer Völker.“

Sie wünscht sich sehr, dass ihr Jugendfreund zurückkommt: „Es fehlt an Köpfen, es fehlt an Menschen, die etwas zu sagen haben! Man wünscht sich fähigere Freunde, fähigere Gegner. Und Menschen, Menschen, Menschen!“

Die belletristische Fiktionalität der Briefe ermöglicht es der Briefeschreiberin, alles aufzuschreiben, was sie „erschüttert, quält und vorwärts treibt“. … „Wenn ich hätte fürchten müssen, meine Ausführungen fielen einem Alt- oder Neu-Nazi in die Hände, ich hätte manches verschwiegen oder vorsichtiger ausgedrückt.“

Leider ist dieser Briefroman in einigen Passagen wieder sehr aktuell.
Am 5. Juni um 23 Uhr wird dieser Roman im literarischen Quartett des ZDF vorgestellt.

Susanne Kerckhoff, Berliner Briefe, mit einem Nachwort von Peter Graf, VERLAG DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS, Berlin 2020, 111 S., ISBN 978-3-946990-36-9

5 Gedanken zu „Susanne Kerckhoff, Berliner Briefe

  1. Aha, da bin ich mal gespannt, was das Quartett über dieses Buch verlauten lässt!
    Schön, diese Besprechung hier, hatte vorher noch gar nix von dem Buch gehört. DANKE.
    Gruß von Sonja

  2. danke! ich will mal versuchen, heut abend reinzugucken. aber wie ich mich kenne, fallen mir um 10 die augen zu. wahrscheinlich gibts das dann in der mediathek?
    lieber gruß
    Sylvia

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