Jon Fosse, Das ist Alise

Jon Fosse, Das ist Alise

Die Vergabe des diesjährigen Literaturnobelpreises an Jon Fosse war für mich Anlass, mal in meinem Bücherfundus nachzuschauen und siehe da, ich habe gleich zwei Bücher gefunden: die Novelle „Das ist Alise“ und seine „Trilogie“. Sie warten also schon länger darauf, gelesen zu werden. Ich habe mit Alise begonnen und bin wirklich fasziniert.

„Ich sehe Signe auf der Bank liegen dort in der Stube und sie blickt auf das Altgewohnte, den alten Tisch, den Ofen, die Holzkiste, die alte Wandvertäfelung, das große Fenster zum Fjord hin, sie blickt auf, ohne es zu sehen, und alles ist wie immer, nichts ist verändert, trotzdem ist alles anders, denkt sie, denn seit er verschwunden und nie wiedergekommen ist, ist nichts mehr, wie es war, sie ist einfach hier, ohne hier zu sein, die Tage kommen, die Tage gehen, die Nächte kommen, die Nächte gehen und sie folgt mit ihren langsamen Bewegungen, ohne dass irgendwas besonders oder außergewöhnlich ist, und weiß sie, was für ein Tag heute ist?“

Schon der Beginn der Novelle zieht einen in diese Erzählwelt. Es entsteht ein Sog zu lesen, vielleicht auch, weil alle Sätze – offensichtlich wegen fehlender Punkte an Satzenden – ineinander fließen.

Es ist ein Donnerstag im März 2002 von dem der Ich-Erzähler über ein Ereignis berichtet, das sich Ende November 1979 zugetragen hat. Signes Mann Asle steht an diesem stürmischen Novembertag an genau diesem Fenster zum Fjord hin und überlegt, ob er noch – wie es seiner Gewohnheit entspricht – mit seinem kleinen Boot auf den Fjord hinausfahren will. Er geht und kommt nicht wieder, wie auch schon andere seiner Vorfahren.

Für Signe steht seitdem die Zeit still. Immer wieder sieht sie Asle vor seinem Weggehen am Fenster stehen, erinnert sich an den eher wortkargen Dialog zwischen ihnen, sieht sich selbst am Fenster stehen und auf ihn warten. Sonst passiert nichts.

Und dennoch erzählt Jon Fosse auf 116 Seiten in Form innerer Monologe verschiedener Personen auf verschiednen Zeitebenen, die manchmal – beinahe unbemerkt – ineinander übergehen, die Geschichte ihrer Ehe, die des kleinen Bootes und verknüpft sie mit Geschichten über Asles Vorfahren. Auch in vergangenen Generationen sind immer wieder Menschen ertrunken oder verschwunden, wenn sie von ihren Fahrten auf den Fjord nicht mehr nach Hause gekommen sind. In der Schwebe bleibt ein wenig, ob es tatsächlich ein Unfall war, denn Asle fühlt sich so schwer wie die Dunkelheit, die er als „eine einzige Finsternis, Schwärze“ empfindet:

„Ich mach mir Sorgen um dich, sagt Signe
Was hast du bloß, sagt sie
Komm schon, steh nicht so da, sagt sie
Ja, sagt Asle
und er schaut sie lieb an
Ich komme jetzt, sagt Asle
und er bleibt stehen“


Signe fragt sich auch, ob er nicht mehr mit ihr leben wollte, seine Wortkargheit und das was hinter den Worten zum Ausdruck kam, haben ihr zugesetzt und „die Unruhe in ihrer Stimme mischt sich mit der stummen Ruhe in der Stimme der Wand.“

Fosse verwendet durchgängig keine Anführungsstriche, so dass man als Leser*in konzentriert darauf achten muss, wer nun was sagt. Und auch die Sprache ist keine große, gewaltige. Es ist die scheinbar simple, monotone und dennoch so artifizielle Alltagssprache mit der Fosse ungesagt so vieles aufscheinen lässt: die Verbundenheit und gleichzeitige Distanz zwischen Signe und Asle, das Stillstehen der Zeit seit Asles Verschwinden, vor dreiundzwanzig Jahren, Signes Einsamkeit und Eingebundenheit in die Generation der Vorfahren.

Fosses Erzählstil entspricht der Art, wie Asle sich ausdrückt:

„denn wenn er etwas nicht leiden konnte, dann waren das große Worte, große Worte verfälschten und verbargen nur, fand er, sie ließen, das, was war, nicht sein und leben, sondern nahmen es weg und taten es in etwas, das irgendwie größer sein wollte, so dachte er und so war er, er mochte das, was nicht groß sein wollte, denkt sie, im Leben, in allem, und so war das auch mit seinem Boot gewesen, dem kleinen Holzboot“

Mich hat diese Lektüre trotz der Handlungsarmut, der Sprachmonotonie gefesselt, weil so viel zwischen den Zeilen gesagt wird, Leser*innen dadurch viel Gedankenspielraum bekommen.
Jetzt bin ich natürlich auf Fosses „Trilogie“ gespannt.

Jon Fosse, Das ist Alise, Novelle, deutsch v. Hinrich Schmidt-Henkel, Reinbek bei Hamburg 2005, 116 S., ISBN 978-3-499-23874-8

3 Gedanken zu „Jon Fosse, Das ist Alise

  1. Danke für die schöne Besprechung. Leider sind in meinem Bücherbestand keine Bücher des Nobelpreisträgers vorhanden.
    Es würde sich sicher lohnen, das eine oder andere antiquarisch zu erwerben…
    Dir einen schönen Sonntag und liebe Grüsse,
    Brigitte

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