Silke von Bremen, Stumme Zeit

Silke von Bremen, Stumme Zeit

„Stumme Zeit“ erzählt von Helma, die im in die Jahre gekommenen reetgedeckten Haus ihrer Eltern lebt, das bei Sturm ein Eigenleben beginnt:

„Helma lebte lange genug in ihrem Elternhaus, um zu wissen, dass es gleich wieder losgehen würde . Diesem jaulenden Pfeifton, der zuverlässig immer dann durch ihr altes Haus zog, kurz bevor der Wind auf Nordwest umschlug, war einfach nicht beizukommen.“

Nach dem Tod ihres Vaters lebt sie allein dort im Haus. Ihren Vater vermisst sie – wie auch andere auf der Insel – nicht wirklich. Er war kein liebevoller, sondern eher ein harter Vater, seit er aus dem Krieg zurückgekommen war, unbeliebt bei allen.

Rudi und Helma sind Nachbarskinder, beide ohne Mütter aufgewachsen, über die keiner im Dorfe spricht. Es ist fast so als hätte es sie nie gegeben. Helmas Mutter soll im Wochenbett gestorben sein, Rudis Mutter wurde abgeholt, während ihr Mann im Krieg war. Sie hat nicht einmal ein Grab auf dem hiesigen Friedhof.

Als Rudi und Helma beginnen nachzuforschen, stoßen sie im Dorf überall auf Schweigen. Mühsam entdecken sie, was mit ihren Müttern wirklich geschah und wie unsäglich Helmas Vater mit dem Verschwinden von Rudis Mutter zu tun hatte. Über alte Krankenakten kommen sie hinter das Geheimnis und das Wirken des ehemaligen Dorfarztes, eines überzeugten Nazis, der zutiefst von der Rassenideologie überzeugt war und sich in seinem Beruf aktiv dafür eingesetzt hat.

Der Roman erzählt von der Vergangenheit dieser Insel und macht gleichzeitig die neuzeitlichen Veränderungen, die Öffnung der Insel für den Tourismus mit oft zweifelhaften Folgen deutlich. Auch Helma beginnt Badegäste in ihrem Haus aufzunehmen.

Der Roman hat zusätzlich noch zwei weitere Handlungsstränge:
Es gibt im Dorf einen Brandstifter, der es vor allem auf reetgedeckte Häuser abgesehen hat. Rudi gerät in Verdacht, kann aber entscheidend zur Überführung beitragen. Dieser Erzählstrang ist m.E. eher nur unterhaltsam, so wie auch die Liebesgeschichte zwischen Helma und Dietrich, einem ehemaligen Flüchtlingskind, der als verheirateter Dorfarzt auf die Insel zurückkommt.

Als „aufgeklärter“ Leser weiß man schon viel früher als die Protagonisten des Romans, um was es geht, zumindest kann man es ahnen. Da interessiert fast nur noch, wie lange sie brauchen, um hinter die (Familien) Geheimnisse zu kommen.
Es ist ein schlicht erzählter unterhaltsamer Roman, der auf leise Art die grausamen Auswirkungen der Kriegszeit auf die Inselbewohner schildert, ohne moralischen Zeigefinger, dennoch sehr deutlich, wie alle mit ihrem Schwiegen dazu beigetragen haben, dass Unrecht nicht als solches geahndet werden bzw. schon vorher verhindert werden konnte.

„Schweigen tötet auch.“

könnte das Fazit dieses Romans sein, der auf leise Art auch die psychischen Auswirkungen der Nach-Kriegsgeneration aufzeigt.
Und immer wieder sind da Sätze, die auch ich noch aus meiner Kindheit kenne, stille Zeugen der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation, die noch stark vom Kriegsgeschehen und dem Wirken der Nazidiktatur geprägt waren.
Ein stiller, dennoch bewegender Roman.

Silke von Bremen, Stumme Zeit, Roman, Dörlemann Verlag, Zürich 2024, 400 S., Fadenheftung, Leseband, ISBN 978-3-03820-896-9

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