Friedrich Ani, Ermordung des Glücks

Friedrich Ani, Ermordung des Glücks

Der elfjährige Lennard Grabbe wird vermisst. An einem Regentag im November ist er nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Nun ist seine Leiche gefunden worden.

Jakob Franck, pensionierter Kommissar, übernimmt die Aufgabe, die Eltern des Jungen zu benachrichtigen. Schon während seiner Dienstzeit – auch in Fällen, in denen er nicht unmittelbar als Ermittler beteiligt war – war er zur Erleichterung seiner Kollegen derjenige, der den Angehörigen die Nachricht vom Tod überbracht hat.

„Aus der Spiegelung der Eingangstür schaute ihr eine abblätternde Frau entgegen.
Je länger sie hinsah, desto stärker wurde ihre Verwunderung darüber, dass sie noch da war, nach so vielen Tagen absoluter Abwesenheit in ihrer Welt; genau vierunddreißig Tage waren es heute. …
Da tauchte ein Mann vor ihr auf und verscheuchte ihr Spiegelbild und jede flüchtige Geborgenheit. … Der Mann da draußen war ein Kripomann. …
`Mein Name ist Jakob Franck. Ich bin ehemaliger Kripobeamter. Können wir reingehen und uns an einen Tisch setzen? Ich habe Ihnen und Ihrem Mann eine schlimme Nachricht zu überbringen.`
Dann verschwand die Welt um sie herum.“

Tanja Grabbe, die Mutter des ermordeten Jungen, fällt aus der Welt heraus. Sie zieht sich zurück, ist nicht mehr erreichbar, weder für ihren Mann, noch für ihre Mutter, die versuchen, ihr trotz der eigenen Trauer zur Seite zu stehen. Nur ihr Bruder, mit dem sie schon immer ein sehr enges und inniges Verhältnis hat, dringt noch ab und an zu ihr durch. Sie schließt sich im Kinderzimmer ihres Sohnes ein, schläft in dessen Bett und verlässt nur nachts die Wohnung, um in dem Lokal, das sie mit ihrem Mann führt, zu putzen und Ordnung zu schaffen.

Die Sonderkommission kommt mit ihren Ermittlungen nicht wirklich weiter, auch dann nicht, als der Tatort gefunden worden ist. Derweil ackert sich Jakob Franck durch sämtliche Protokolle und befragt auf die ihm eigene geduldige Art Zeugen, die bereits vernommen worden sind. Er hört zu, beobachtet seine Gesprächspartner sehr genau und achtet dabei auch auf die bei ihm entstehenden Gefühle, stellt Fragen, macht sich ein Bild von Lennard, dem Tag, an dem dieser verschwunden ist, und von den Bewohnern rund um den Spielplatz, auf dem Lennard zu Tode gekommen ist. Und bringt nach und nach unbekannte Details ins Bewusstsein, die von den anderen Ermittlern entweder nicht ermittelt oder für nicht erwähnenswert gehalten worden sind. Dennoch: Das „Fossil“, nach dem er sucht, das den Durchbruch ermöglichen könnte, scheint nicht dabei zu sein.

Der Fall beginnt, auch ihm zuzusetzen, zumal er an bisweilen an den Tod seiner kleinen Schwester erinnert wird. Ein wenig Trost, Rückhalt und Verständnis findet er bei seiner Ex-Frau, die mittlerweile mit seinen Eigenheiten und seiner Eigensinnigkeit besser umgehen kann als während ihrer Ehe.

Nach „Der namenlose Tag“ ist „die Ermordung des Glücks“ der zweite Roman mit Jakob Franck als Ermittler, ein Roman mit Zügen eines Kriminalromans. Es gibt einen Mordfall, Kommissare, die ermitteln und ja, zum Schluss auch einen Täter. Dennoch ist es kein typischer Krimi, in dem es in erster Linie um die Ergreifung des Mörders und dessen Motive geht. Es geht vielmehr um die Betroffenen, die Hinterbliebenen des Mordopfers.

Entstanden ist ein psychologisch stimmiger und gut nachvollziehbarer Roman über Menschen, die mit einem kaum fassbaren Ereignis in ihrem Leben umgehen müssen, und über die Art und Weise, wie sie dies vermögen oder auch nicht. Oft macht ein personaler Erzähler die Perspektiven der jeweiligen Personen deutlich, lässt sie mit ihren Gedanken, Gefühlen, Sehnsüchten und Träumen zu Wort kommen. Und es sind viele aus der Welt gefallene Menschen, mit denen Jakob Franck es zu tun hat, nicht nur die unmittelbaren Angehörigen, sondern auch viele derjenigen, mit denen er während seiner Ermittlungen Gespräche führt und auf dabei auf Untiefen trifft, die meist nur von ihm erahnt werden können, da die Menschen alles tun, um sie vor sich selbst zu verbergen.

Es ist ein leiser, gut lesbarer, sprachlich sehr differenzierter, spannender Roman, wenn man Darstellungen menschlicher Leben mit ihren Unstimmigkeiten, Brüchen und Widersprüchen spannend findet. Ich jedenfalls hoffe, dass Jakob Franck weiter ermitteln wird.

Friedrich Ani, Ermordung des Glücks. Ein Fall für Jakob Franck. Roman, Suhrkamp, Berlin 2017, 317 S., ISBN 978-3-518-42755-2

3 Gedanken zu „Friedrich Ani, Ermordung des Glücks

  1. Es ist ein Buch, das echten Krimifans sicher zu leise, zu unaufgeregt daherkommt. Ich mag Ani mit seinen verschiedenen Kommissar-Persönlichkeiten, die sich immer auch für die Menschen interessieren, mit denen sie es zu tun haben.
    Liebe Grüße!

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