DER MENSCH ZÄHLT!?

DER MENSCH ZÄHLT!?

DEMENsch Zählt!

So lautet die Aufschrift auf einem Plakat, an dem ich immer wieder vorbeikomme. In diesem Jahr habe ich einige Romane gelesen, die sich auf literarisch sehr unterschiedliche Art mit dem Thema befassen:

Arno Geiger hat in  „Der alte König in seinem Exil“ darzustellen vermocht, dass menschliche Nähe und ein würdiges Leben trotz Demenz möglich sein können, während bei Tilmann Jens in  „Abschied von meinem Vater“ mehr im Vordergrund steht, was die Krankheit mit jemandem macht, dessen Wirkmächtigkeit Zeit seines Lebens im Wort, in der Sprache gelegen hat.

Martin Suter hat in „Small World“ in einem krimiähnlichen Roman aufgezeigt, wie unterschiedlich Menschen auf Demenzkranke reagieren und mit ihnen umgehen, wohl wissend, dass sie immer öfter nicht mehr wissen, was sie gesagt, getan und unterschrieben haben.

Margaret Forster hat sich bereits 1989 in ihrem Roman „Ich glaube, ich fahre in die Highlands“ mit dem Thema befasst, vor allem mit den moralischen Apekten und Fragen, die sich für  pflegende Angehörigen stellen, die alle an einem bestimmten, individuell unterschiedlichen Punkt an ihre körperlichen, seelischen, nervlichen, ja und auch finanziellen (Belastungs-) Grenzen kommen, und nach Antworten suchen, wie sie damit umgehen sollen.
Soll  Grandma zu Hause gepflegt werden, wenn ja bei wem? Soll sie ins Heim, weil eine Rundumbetreuung kaum zu leisten ist, vor allem dann nicht, wenn die zu Hilfe gezogenen Personen, Hals über Kopf wegbleiben, wenn sie glauben, die Situation nicht mehr verantworten zu können.
Und was ist, wenn man selbst wegen Krankheit ausfällt und das Bett hüten muss? Dieser Roman ist abwechselnd aus der Perspektive der Schwiegertochter und aus der der Enkelin geschrieben, die zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der Situation gelangen.

Erika Veld  dagegen zeigt in „Klein, still & weiß“ durchgängig aus der Perspektive der nicht mehr zu Hause wohnenden Tochter, was auf einen zukommen kann, wenn der Vater derart dement ist, dass mittlerweile Spinnen, Mäuse und Ratten zu den Hausgenossen gehören, die sich im unbeschreiblichen Dreck der Wohnung außerordentlich wohl fühlen. Was aber tun, wenn der Vater sich weigert, die Wohnung zu verlassen, wenn er Fremde nicht in seine Wohnung lassen will, allein aber nicht mehr klarkommt, was natürlich entsprechend vehement bestritten wird? Das Cover bezeichnet das Buch als Roman, man könnte es allerdings eher als Erlebnisbericht einordnen, da schonungslos offen die Zustände und Schwierigkeiten benannt werden.

Margaret Forster, Ich glaube, ich fahre in die Highlands, Roman, a.d.Engl. v. Sylvia Höfer, FFM 10. Aufl. 2006, 391 S., ISBN 978-3-596-10867-1
Erika Veld, Klein, still & weiß, Roman a.d. Niederl. v. Rosi Wiegmann, Wien-München 1999, 175 S., ISBN 3-216-30460-4

10 Gedanken zu „DER MENSCH ZÄHLT!?

  1. oh.. das klingt schon von der Beschreibung her sehr verstörend. und auch da muss ja eine lösung gefunden werden?! man fragt sich, wie das ohne gewalt und heftigste entmüdnigung und bevormundung denn gehen könnte?

    nachdenkliche Grüße von Ellen

  2. Es geht meist leider nicht ohne „Gewalt“ oder „heftigste Entmündigung“, denn die Sachlage läßt ein eigenständiges – evtl. noch unterstützendes – Entscheiden oft am Ende nicht mehr zu.
    Ich weiss, meine Vergleiche hinken. Aber einen Suizidgefährdeten oder ein Unfallopfer mit gebrochen Gliedmassen würde man auch nicht sich selbst überlassen oder selbst entscheiden lassen, ob er/sie sich behandeln/unterbringen ect.läßt.
    Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie weh das tut,wenn man „gewaltsam“ handeln muss. Es ist furchtbar, aber es kommt der Punkt an dem man einfach die Verantwortung übernehmen MUSS, wenn man nicht wegschauen will 0der kann.

    Es ist gut, dass es Bücher gibt,die diesem Thema von verschiedenen Seiten versuchen beizukommen. Denn es gibt immer mehrere Sichtweisen und die sind wahrcheinlich so unterschiedlich wie jeder einzelne Mensch.
    Danke für die Rezensionen !!
    Herzliche Grüsse von der meist stillen Leserin
    Angela

  3. Hallo Angela,
    ja das glaube ich auch! Deshalb geht es denen, die sich darum kümmern müssen ja auch meist so schlecht, dass sie auch in Gruppen Unterstützung brauchen.

    Grüße von Ellen

  4. Die Notwendigkeit der Unterstützung von Angehörigen hat Ken Wilber in seinem Buch „Mut und Gnade“ (auch hier rezensiert!)anschaulich und nachvollziehbar thematisiert, der am eigenen Leib erfahren hat, wie kräftezehrend es ist, mit einer Kranken zu leben (seine Partnerin hatte allerdings Krebs).
    Doch das Problem besteht mE auch darin, dass Angehörige sich erst einmal eigestehen müssten, dass auch sie Hilfe und Unterstützung brauchen, dass sie das kommunizieren und auch in der Lage sind, Hilfe und Unterstützung dann anzunehmen.

  5. Angela, freut mich, wenn dir die Rezensionen ein wenig Hilfe bei der Auswahl leisten könnten und ja, es ist schön, ab und zu auch etwas von den stillen MitleserInnen etwas zu „hören“. Danke!

  6. Kann ich nachvollziehen, Sonja. Ich habe jetzt noch einen Erzählband zu diesem Thema und dann lasse ich es, bleibe jedoch mit vielen offenen Fragen zurück, Fragen, von denen ich nicht weiß, ob und wie ich sie beantworten würde.
    Dir einen Sonntag ohne Blues, welcher Art auch immer!

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